Vom Knast in die Ausgangssperre - Gefängnis in Zeiten von Corona
20.03.2020
Während einige derzeit fürchten, dass die eigene Wohnung aufgrund einer drohenden bundesweiten Ausgangssperre buchstäblich zum Gefängnis wird, haben einige JVA-Insassen dieser Tage berechtigte Hoffnungen auf eine sofortige vorzeitige Freilassung.
Das derzeit mit rasanter Geschwindigkeit grassierende
Corona-Virus
macht naturgemäß auch vor der Strafjustiz nicht Halt, sodass auch die Haftanstalten sich nun noch nie da gewesenen Herausforderungen stellen müssen. Ähnlich wie in Krankenhäusern müssen auch die Anstalten vorsorgen und Räume schaffen, um neue oder bereits infizierte Insassen isolieren zu können. Viele Insassen gehören den Hochrisikogruppen an, sind suchtkrank oder leiden überproportional häufig an Hepatitis C oder HIV. Hinzu kommen Häftlinge höheren Alters oder mit psychischen oder psychiatrischen Vorerkrankungen. Dies führt zwangsläufig dazu, dass nunmehr einige von der derzeitigen Ausnahmesituation profitieren und aus dem Gefängnis entlassen werden. Bis jetzt sind dies
vornehmlich Verbüßer von Ersatzfreiheitsstrafen, das betrifft Fälle, in denen die Betroffenen nicht in der Lage sind, ihre Geldstrafe zu bezahlen und sie „absitzen“ müssen. Personen, denen eine solche Ersatzfreiheitsstrafe bevorsteht, wird bis auf Weiteres Aufschub gewährt bis die Krise überwunden ist.
Auch Jugendarreste werden derzeit nicht vollstreckt, das betrifft verurteilte Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die zu einer Freiheitsentziehung von einem Wochenende bis zu maximal 4 Wochen verurteilt wurden. Ferner hat Berlin bereits alle
Strafantritte von Strafen bis zu 3 Jahren aufgeschoben
bis zum 15. Juli 2020, um mögliche Infizierungen innerhalb der Anstalten einzudämmen. Sofern keine Untersuchungshaft vollstreckt wird, wird zu Freiheitsstrafen verurteilten Menschen eine gewisse Zeit eingeräumt, bis sie ihre Haftstrafe antreten müssen.
Strafverteidigervereinigungen
bundesweit fordern darüber hinaus auch eine Amnestie für alle Gefangenen mit (Rest-)Strafen von bis zu sechs Monaten sowie die Entlassung aller Personen aus der Abschiebehaft.
Grundsätzlich betrifft die Corona-Pandemie auch die
Untersuchungshaft. Neuankömmlinge werden 2 Wochen unter Quarantäne gesetzt.
Haftprüfungen sollen in Hamburg nunmehr online per Konferenz mit einem Tablet durchgeführt werden. So stellt sich die Frage nach dem am häufigsten angenommenen Haftgrund der Fluchtgefahr in Zeiten von weitreichenden Beschränkungen in allen Lebensbereichen ganz neu. Inwiefern können Haftrichter in Einzelfällen noch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Flucht oder ein Untertauchen begründen, wenn die Grenzen geschlossen bzw kontrolliert werden und die Möglichkeiten sich draußen fortzubewegen dermaßen reduziert sind, dass Zivilisten kaum noch auf den Straßen anzutreffen sind und von der Polizei oder dem Ordnungsamt kontrolliert werden?